Dr. h.c. Johannes Gerster
Eine sehr persönliche Betrachtung
Wir feierten im Jahr 2001 den 90. Geburtstag des legendären Jerusalemer Altbürgermeisters Teddy Kollek in Tel Aviv. Das Protokoll hatte mich neben Israel Kantor gesetzt. Unsere Unterhaltung lief schleppend in Englisch. Teddy Kollek rief mir über den Tisch zu, redet doch einmal über Musik. Rasch stellten sich Gemeinsamkeiten heraus. Israel Kantor war Präsident des Chorverbandes von Israel. Als ich ihm erzählte, ich sei Ehrenvorsitzender des Vereins „Musica Sacra“ am Mainzer Dom, nahm unsere Unterhaltung Fahrt auf. Und als er erfuhr, dass wir eine Konzertreise mit den Mainzer Chören, mit 200 Sängerinnen und Sängern, durch Israel planten, sprach er plötzlich perfekt Deutsch.
Diese Erfahrung machten wir Deutschen oft. Israelis mit deutschen Wurzeln taten sich schwer, nach der Shoa in der Sprache ihrer Jugend zu sprechen. Erst wenn sie zu ihrem deutschen Gegenüber Vertrauen fassten, redeten sie oft deutsch.
Deutschland war nach der Staatsgründung ein weißer Fleck auf der Landkarte Israels. Auf Deutschland lastete Verantwortung für die Shoa, für die Ermordung von sechs Millionen Juden. Deshalb ging man diesem Land aus dem Weg. In den israelischen Reisepässen war vermerkt: „Gültig für alle Länder mit Ausnahme Deutschlands“.
Umso bemerkenswerter war die Haltung von David Ben Gurion, dem Gründungsvater Israels. Als Regierungschef dieses kleinen Landes mit gerade einmal 700.000 Einwohnern sah er messerscharf, dass Israel im feindlichen, arabischen Umfeld nur mit Hilfe von außen überleben würde. Gegen erheblichen Widerstand erklärte er, er glaube an ein neues Deutschland. Das millionenfache Leid des jüdischen Volkes könne nicht wieder gut gemacht werden. Aber die Deutschen könnten das jüdische Volk in seinem erneuten Überlebenskampf unterstützen. Also doch: Wiedergutmachung. Ben Gurion war Idealist, Visionär und Realist.
Der zehn Jahre ältere erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte bereits 1951 im Deutschen Bundestag die moralische Pflicht des deutschen Volkes betont, dem jüdischen Volk beim Ausbau des Staates Israel zu helfen. Adenauer war für Ben Gurion glaubwürdig, weil ihn die Nazis 1933 als Kölner Oberbürgermeister, zugleich Präsident des preußischen Staatsrates, aus allen Ämtern hinaus geworfen hatten. Wiedergutmachung war im zerstörten Nachkriegsdeutschland unpopulär. Für Adenauer war Hilfe für Israel jedoch ein moralisches Gebot. Auch wusste er, dass die Aussöhnung mit Israel den Deutschen die Tore zur Welt öffnen würde. Auch Adenauer war Idealist, Visionär und Realist.
Bereits 1952 wurde das Luxemburger Abkommen, ein Milliardenpaket, zwischen Deutschland und Israel unterzeichnet. Zuvor hatten die Israelis gebeten, auf den üblichen Handschlag zwischen den Vertragspartnern zu verzichten. Dies würde ansonsten in Israel ein politisches Erdbeben auslösen.
Auch ohne Handschlag explodierte in Israel beim Bekanntwerden der deutschen Zahlungen die Stimmung: „Kein Blutgeld aus Deutschland“ schrieen die Demonstranten auf den Straßen bis in das israelische Parlament, die Knesset, hinein. Dort endete die erhitzte Debatte mit einer Schlägerei. Auch Adenauer musste erheblichen Widerstand in der eigenen Partei brechen. Der Wiederaufbau zerstörter Städte und die Überwindung der täglichen Not erschienen dringlicher als Hilfen für Israel. So blieben in den 1950er Jahren offizielle Kontakte aus oder fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Private Kontaktversuche gab es von beiden Seiten. Ansonsten ruhte der See still!
So paradox es klingen mag, das neue Deutschland rückte erst mit dem Eichmann-Prozess in den Fokus der israelischen Öffentlichkeit. Am 11. Mai 1960 hatte der israelische Geheimdienst den Organisator der Judentransporte in die Massenvernichtungslager, Adolf Eichmann, von Argentinien nach Israel entführt. In Jerusalem wurde er angeklagt. Dieser Prozess und die umfangreiche Beweisaufnahme wurden in der ganzen Welt und insbesondere in Israel und Deutschland spannungsgeladen verfolgt. Eichmann wurde wegen Verbrechen gegen das jüdische Volk, gegen die Menschheit und wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Diese Strafe wurde am 15. Dezember 1961 vollstreckt. Die intensive Befassung mit der Vergangenheit war für Israelis der Anlass, sich erstmals mit dem neuen Deutschland auseinander zu setzen. In der Bundesrepublik überwand dieser Prozess die vorherige Verdrängung der Naziverbrechen. Plötzlich erwachte die Erkenntnis, dass die dunkle Vergangenheit Deutschland und Israel schicksalhaft miteinander verbindet.
Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel kam es jedoch erst im Jahr 1965.
Israel entsandte als ersten Botschafter den Staatssekretär im Verteidigungsministerium Asher Ben Nathan. Zuvor hatten mehrere Diplomaten des israelischen Außenministeriums sowie Intellektuelle und Universitätsprofessoren es abgelehnt, nach Deutschland zu gehen. Asher Ben Nathan dagegen stand voll hinter den frühen Aussagen Ben Gurions: „Das Deutschland Adenauers ist nicht das Nachfolgeregime der Nazis“ und „Ich lehne eine Kollektivschuld der Deutschen ab“. Zugleich sprach Ben Nathan von einer heiklen Mission, die er dann vier Jahre lang meisterhaft bewältigte.
Die Bundesrepublik entsandte den Leiter der Wirtschaftsabteilung im Auswärtigen Amt, Rolf Friedemann Pauls, nach Tel Aviv. Als dessen Wagen beim Staatspräsidenten vorfuhr, warfen wütenden Demonstranten mit Steinen. Schätzungsweise die Hälfte der Israelis wollte damals keine Vertreter Deutschlands in Israel akzeptieren. Der Protest richtete sich auch gegen die Person Pauls, der als ehemaliger Offizier der Wehrmacht auf besondere Ablehnung stieß. Das konnte Pauls in seinen drei Amtsjahren zum Positiven wenden. Israelische Zeitungen schrieben zum Ende seiner Amtszeit: „Wir haben Pauls mit Steinen empfangen und mit Blumen verabschiedet.“
Im Alter von 16 Jahren lernte ich den ersten Israeli kennen. Er war ein in Mainz geborener Jude, dem meine Eltern im Dritten Reich zur Flucht aus Deutschland verholfen hatten. Ich erinnere mich noch heute an die Herzlichkeit, ja Herzenswärme unseres israelischen Gastes und seine fast schwärmerische Schilderung seiner Jugendzeit in Mainz. Dieser Mann liebte seine Geburtsstadt, durch die er von deutschen und auch Mainzer Nazis vertrieben worden war, auch nach harten Jahren der Flucht und des Leidens. Später erlebte ich in Israel: Die deutschen Opfer der Shoa waren die besten Brückenbauer nach Deutschland. Viel distanzierter waren die orientalischen Juden, die keine Deutschen kannten und nicht zwischen bösen und guten Deutschen unterscheiden wollten.
1967 gründete ich mit Gleichgesinnten eine Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Nach meiner ersten Wahl in den Bundestag im Jahre 1972 wurde ich sofort stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe. Mein Interesse an Israel wuchs weiter, wobei regelmäßige Israelbesuche und die Betreuung israelischer Staatsgäste in Bonn immer mehr Raum einnahmen. Dabei wurden mir, je öfter und länger ich mit israelischen Kollegen redete, zwei Botschaften übermittelt:
„Du bist zu jung, um für die Verbrechen der Nazis verantwortlich zu sein.“ Der Satz Ben Gurions, es gebe keine Kollektivschuld, war bei vielen angekommen. „Wir können vergeben, aber nicht vergessen, was zwischen 1933 und 1945 geschehen ist.“ Diese Feststellung wird noch heute von der großen Mehrheit der Israelis geteilt.
Jeder Besuch in Israel machte deutlich, dass das Interesse der politischen Klasse an Deutschland wuchs, während die Vorbehalte gegenüber Deutschland bei dem Mann auf der Straße anhielten. In dieser Zeit verweigerte der Sprecher der Knesset, dessen Familie in der Nazizeit weitgehend ausgelöscht worden war, jedem Deutschen den Handschlag. Ich respektierte dieses Verhalten, setzte aber auf diejenigen, die zur Zusammenarbeit bereit waren. Es entstand die erste kommunale Partnerschaft Wuppertal – Ber Sheva, weitere folgten. Es gab zunehmend wissenschaftliche Austauschprogramme zwischen deutschen und israelischen Universitäten, der Jugendaustausch wurde begonnen und ausgebaut.
Diese noch vorsichtige Annäherung erfuhr Rückschläge. Im Yom Kippur Krieg 1973 blockierte die Bundesregierung die Lieferung von Waffen und Versorgungsmitteln aus den USA über die deutschen Häfen und Nato-Flugplätze. Die ägyptische Armee stand 60 km vor Tel Aviv, Israel war in größter Not und Deutschland verhinderte den militärischen Nachschub. Die Quittung erhielt der spätere sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt vom konservativen Likud-Premierminister Menachim Begin. Dieser diffamierte Schmidt als Nazi-Leutnant, was in Deutschland Empörung auslöste. Es bedurfte wochenlanger Bemühungen, Wiederholungen aus Jerusalem zu unterbinden und die Verärgerungen in Bonn zu begrenzen.
Es gab auch erfreulichere Begegnungen. Zu Beginn der 1980er Jahre sprach mich der Vizesprecher der Knesset, Dov Ben Meir, an, ob ich den Aufbau eines israelisch-palästinensischen Forums unterstützen könne. Zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung gründeten wir den israelisch-palästinensischen Verein Co-Existence, der vor dem Osloer Friedensprozess Israelis und Palästinenser regelmäßig zu vertraulichen Treffen einlud. Leider beendeten die erste Intifada im Jahr 1987 und die damit einsetzende Gewalt diese verheißungsvolle Arbeit. Dass aber eine deutsche Stiftung schon damals als Mittler zwischen den verfeindeten Völkern berufen wurde, zeigt das große Vertrauen gegenüber Deutschland schon in den 1980er Jahren.
!997 beendete ich mein Politikerdasein, um für die Konrad Adenauer Stiftung nach Jerusalem zu gehen. Mich reizte, die Mittlerfunktion zwischen Israelis und Palästinensern wieder aufzunehmen und zu verstärken. In Israel wurde ich bestens aufgenommen. Langjährige Freunde wie Dov Ben Meir, Adin Talbar, Teddy Kollek und Asher Ben Nathan veranstalteten Empfänge, um mich in die israelische Gesellschaft einzuführen
Bereits am siebten Tag nach meiner Ankunft hatte mich Teddy Kollek „eingefangen“. 28 Jahre hatte er als Bürgermeister die Geschicke von Jerusalem gelenkt. Nun organisierte er als Präsident der Jerusalem Foundation jüdisch-arabische Projekte in der Stadt. Er zeigte mir ein Grundstück beim berühmten King David Hotel und erklärte, dass seine Stiftung dort ein Konferenzzentrum bauen wolle. Teddy Kollek war weltweit der beste Spendensammler. Deshalb redete ich ihn häufig mit Teddy Kollekte an. Ich kam seiner Frage, ob ich ihm Geld für das Projekt verschaffen könne, mit der Frage zuvor, was es koste, wenn dieses Zentrum nach Konrad Adenauer benannt werde. Seine Antwort: 3,5 Millionen Dollar. Im November 1999 fand die Grundsteinlegung in Anwesenheit von Helmut Kohl statt. Ich hatte in zwei Jahren über 15 Millionen Deutsche Mark gesammelt. Im Mai 2001 weihten wir das Zentrum ein. Es wurde ein begehrtes Zentrum für Juden, Christen und Moslems und Ort israelisch-palästinensischer Begegnungen.
Die gute Erfahrung mit dem Konrad Adenauer Zentrum machte mir Mut, das zweite, noch problematischere Vorhaben anzupacken: Wie konnten wir Israelis und Palästinenser für inoffizielle Begegnungen gewinnen? Auch hier kam uns das Glück entgegen. Eines Tages tauchten die Direktoren des „Israel Palestine Center for Research and Information“ (IPCRI) in meinem Büro auf und baten um Unterstützung für ihre israelisch-palästinensischen Projekte. Ich erkannte, dass frühere Mitglieder von Co-Existence beteiligt waren. Schon deshalb stimmte ich der erbetenen Zusammenarbeit zu.
Gemeinsam bildeten wir israelisch-palästinensische Arbeitsgruppen, in denen Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft über Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausloten und den Regierungen vorschlagen sollten. Später würden Vertreter beider Regierungen direkt in die Beratungen eingebunden werden. Beide Seiten stimmten diesen Plänen unter folgender Bedingung zu: Das Ganze müsse vertraulich, d. h. ohne Presse, über die Bühne gehen.
Die Arbeit dieser KAS-IPCRI-Arbeitsgruppen entwickelte sich so gut, dass wir von beiden Regierungen in der Folgezeit gebeten wurden, über Problem x oder y zu reden und gemeinsame Vorschläge zu entwickeln. Wir wurden in Zeiten politischer Stagnation und Gewalt auch während der zweiten Intifada als Mediator zwischen beiden Regierungen akzeptiert. Offiziell gab es uns nicht, inoffiziell konnten wir helfen, so manches Problem zugunsten der Menschen zu lösen.
Dass Israelis und Palästinenser uns in diesen Jahren diesen Spielraum einräumten, hatte zwei Gründe:
Wir waren, so schwer das auch manches Mal war, loyal zu beiden Seiten und waren Garant, dass beide Seiten auf gleicher Augenhöhe miteinander reden konnten. Dadurch wuchs Vertrauen.
Wir verhandelten nicht über den Frieden. Das war zu dieser Zeit Sache der Amerikaner. Unsere Arbeitsgruppen waren für die Lösung von Alltagsproblemen zwischen beiden Seiten zuständig.
Im Laufe der Jahre brachten wir mit der „Middle East Children Association“ (MECA) ein israelisch-palästinensisches Lehrerfort-bildungsprogramm und mit der kleinen Israelisch-Jordanischen Handelskammer erste Schritte zu einer Freihandelszone Nahost auf den Weg. Auch hier machten wir die Erfahrung, wie sehr eine deutsche Organisation als Mittler gefragt war.
Im Jahre 1998 feierte Israel und im Jahre 1999 die Bundesrepublik Deutschland ihr 50-jähriges Bestehen. Israelische Zeitungen baten mich um einen Gastkommentar zum Stand der deutsch-israelischen Beziehungen. Bisher sprachen die Israelis aller Couleur wegen der Shoa immer noch von besonderen Beziehungen zu Deutschland. Deshalb schieb ich „Die Israelisch-Deutschen Beziehungen sind besonders belastet, besonders sensibel, besonders gut“. Ich war gespannt, ob es Proteste gegen die „besonders guten Beziehungen“ geben würde. Noch heute warte ich auf Kritik. Stattdessen verschwand das Attribut „besondere Beziehungen zu Deutschland“ mehr und mehr aus dem Repertoire israelischer Redner.
Zum 60jährigen Jubiläum der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 bescheinigte die Spitze des Staates Israel, Staatspräsident, Premierminister und die Sprecherin der Knesset unisono, Deutschland sei nach den USA der zweitbeste bzw. in Europa der beste Freund Israels. Bundeskanzlerin Angela Merkel steht in der Beliebtheitsskala ganz oben, spätestens seit ihrer Feststellung: Israels Sicherheit sei deutsche Staatsraison. Besser geht es nicht.
Die Bilanz im deutsch-israelischen Verhältnis fällt heute überaus positiv aus. Zwischen beiden Ländern gibt es über 100 kommunale Partnerschaften. So unterhält die Hafenstadt Haifa fünf Städtepartnerschaften mit den Landeshauptstädten Bremen, Düsseldorf, Erfurt und Mainz sowie mit Mannheim. Wenn auch finanzielle Probleme der Kommunen manches Vorhaben blockieren – vor allem private Organisationen ermöglichen regelmäßige Begegnungen und Austauschprogramme. Jede israelische Universität pflegt die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen. An dem renommierten Weizmann-Institut in Rehovot forschen regelmäßig um die 30 deutsche Naturwissenschaftler. Die Deutsch-Israelische Juristenvereinigung bringt jährlich mit ihrer israelischen Schwestervereinigung bis zu 300 Juristen aus beiden Ländern zu Fachtagungen zusammen. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft und ihre israelische Schwestergesellschaft IDG veranstalten jedes Jahr Begegnungen in Israel und Deutschland. Unterschiedliche Institutionen und Stiftungen fördern den Jugendaustausch in beiden Richtungen.
Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Israel betrug 1960 – vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen – gerade einmal 100 Millionen US-Dollar. Im Jahre 2011 betrug es stolze 6,5 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet über 52 Jahre ein durchschnittliches, jährliches Wachstum von 9%. Deutschland ist der drittgrößte Handelspartner Israels nach den USA und China. Israel ist der drittgrößte Handelspartner Deutschlands aus der gesamten MENA-Region. Israels Bevölkerung wuchs von 700.000 Bürgern bei der Staatsgründung auf 8,5 Millionen Staatsbürger heute. Israel entwickelte sich vom Agrarland 1948 zum High Tech-Land allererster Güte im Jahre 2015. Trotz aller Krisen und Gewalt im Nahen Osten gilt es als stabiles, demokratisches Land und ist daher nicht nur für die deutsche Wirtschaft von großem Interesse.
Das Ansehen Deutschlands in Israel ist gut. Das beweist auch dieses Beispiel: Junge Israelis gehen nach ihrem langen Wehrdienst gern als Rucksacktouristen auf Reisen. Auf die Frage, welche Hauptstadt sie in der Welt am Liebsten besuchen würden, rangiert seit Jahren die deutsche Hauptstadt Berlin auf Platz eins. 70 Jahre nach der Shoa ist die Wunde zwar nicht voll verheilt, aber sie ist vernarbt. Das heißt, man muss sorgsam mit den deutsch-israelischen Beziehungen umgehen. Denn eine Narbe bricht leichter auf als eine verheilte Wunde.
Israels Ansehen in Deutschland ist eher durchwachsen. Bei Umfragen wird Israel von der Mehrheit als Kriegsgrund, ja als Kriegsgefahr angesehen. Diese Stimmung wird in Israel zunehmend mit Sorge registriert. Aus israelischer Sicht sind dafür drei sehr unterschiedliche Gründe ursächlich:
Zum Ersten beklagt man eine als einseitig empfundene Berichterstattung über die Ursachen des israelisch-palästinensischen Konfliktes in Europa und auch in Deutschland.
Zum Zweiten sei Europa und mit Abstrichen auch Deutschland nicht bereit, Israel als einzige Demokratie im Nahen Osten und damit als Teil der westlichen Wertegemeinschaft zu akzeptieren. Israelis und Palästinenser würden mit unterschiedlichen moralisch-ethischen Maßstäben bewertet. Der kleinste Fehler Israels würde lautstark verurteilt, während Gewalt in der arabischen Nachbarschaft nach der Methode, „die sind halt so“, entschuldigt werde.
Zum Dritten befürchtet man in Israel, dass der wachsende Einfluss der Moslems in Deutschland und ein opportunistisches Denken gegenüber deren Forderungen die Distanz zu Israel vergrößern werde. Auch befürchtet man, dass Deutschland die Zunahme antisemitischer Strömungen nicht stoppen könne. Auch diese Entwicklung gehe zu Lasten Israels.
Man muss diese Bedenken nicht teilen, ernst nehmen sollte man sie schon. Die Generation, die aus historischen, politischen und moralischen Gründen für das Existenzrecht Israels eintrat, stirbt aus. Unsere Gesellschaft ändert sich rasant. Moralische und ethische Grundsätze geraten partiell ins Wanken. Dies gilt für viele politische Fragestellungen, aber insbesondere für unsere Position gegenüber den Juden und dem Staat Israel. Die deutsch-israelischen Beziehungen sind kein Selbstläufer. Auch in Zukunft muss hart dafür gearbeitet werden.
Aus Gegnern können Freunde werden. Das beweist die deutsch-israelische Freundschaft im Jahre 2015. Allerdings sind m. E. erforderlich
- Aufarbeitung der Geschichte, Eingeständnis von Schuld und der Wille zur Wiedergutmachung.
- Starke politische Führungspersönlichkeiten, die Ressentiments und die Lust zu kleinkariertem Denken überwinden.
- Begegnungen, Begegnungen, Begegnungen, Partnerschaften, Partnerschaften, Partnerschaften.
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